Bürgerstiftung Gütersloh.
Von Bürgern – Für Bürger.

Besuch im Paradies

Da, wo die Weißdornhecken und wilden Malven wachsen, wo sich die Obstbaumzweige unter der Last ihrer aromatischen Früchte biegen, wo Gemüse giftfrei üppig wächst und alte Kulturpflanzen wie die Schwarznessel bestens gedeihen, wo der Steinkauz ruft und der Buntspecht klopft, wo Wildbienen und Hornissen summen und über dem Teich Südliche Blaupfeile ihren anmutigen Libellentanz vollführen, da fühlt man sich wie im Paradies. Diesen Garten Eden, den Rainer und Renate Bethlehem vor 35 Jahren in Isselhorst auf dem Areal seines elterlichen Hofs angelegt haben, hat sich zu einem 8000 Quadratmeter großen Refugium entwickelt, in dem Natur- und Artenschutz gelebt werden und Biodiversität herrscht. Eine grüne Oase, in der Wissen und Wohlgefühl paktieren, nachhaltige Naturerlebnisse vermittelt werden. Und es ist ein Ort, an dem soziales Engagement in Form von besonderen Präventivangeboten für Kinder suchtkranker Eltern stattfindet.

Dort lebt das sympathische Paar seinen Traum - und lässt andere auf vielfältige und vorbildliche Weise teilhaben, in dem es dort entstandene Ideen umsetzt, nach außen trägt, Impulse im Dorfleben setzt, Kooperationen mit Vereinen, Naturverbänden und Initiativen belebt, Menschen motiviert und sich vielseitig engagiert. Nicht von ungefähr wurden Renate (67) und Rainer Bethlehem (65) mit dem mit 5000 Euro dotierten BürgerPreis 2023, dem Ehrenamtspreis der Bürgerstiftung Gütersloh, ausgezeichnet. „Wir fühlen uns sehr geehrt“, erklärte das Paar, „denn ein Preis der Bürgerstiftung steht für eine Wertschätzung durch die Stadtgesellschaft. Das ist etwas Besonderes.“

Mit einigen wenigen Linden fing es 1988 an. Renate und Rainer Bethlehem, die sich seit Kindertagen aus der Landjugend kannten, arbeiteten in Bethel. Er als Fachkrankenpfleger für psychiatrische Pflege, sie als Krankenschwester. Der Garten sollte ihr Ausgleichs- und Rückzugsort sein. Als sie Eltern von drei Kinder wurden, blieb er zuhause. „Wir sind immer alles partnerschaftlich angegangen.“

 Er nutzte die acht Jahre Elternzeit: „Ich hatte Zeit und habe mir überlegt, wie ich mich einbringen könnte.“ Ein paar schwirrende Hornissen wiesen ihm den Weg. Rainer Bethlehem entwickelte „mal eben“ ein Hornissenschutzkonzept, das die untere Landschaftsbehörde und das Land NRW als erstes überhaupt nur zu gern annahmen. „Von da zu den Bienen war’s nicht weit“, verweist er auf etliche Völker, die mittlerweile auf dem Gelände wohnen.  „Schafft man einen strukturell vielfältigen Lebensraum für die Tiere, dann kommen sie auch“, weiß der Garten- und Landschaftstherapeut Bethlehem und weist stolz auf den Großen Kolbenwasserkäfer, der zu den bedrohten Tierarten zählt und den er in diesem Sommer erstmals seit Jahrzehnten wieder an seinem Teich beobachten konnte.

Für alles, was da kreucht und fleucht auf Wiese und Feld, in den Hecken, Bäumen und Büschen, gibt es jede Menge Nistkästen und -hilfen: Schlupflöcher für Vierbeiner und Vögel sowie Totholz für Käfer, die anderen wiederum als Nahrung dienen. Nicht zu vergessen: das eigens angelegte Sandarium, Nistgelegenheit und Überwinterungsmöglichkeit für solitäre Wespen und Wildbienen. 

Den Bethlehems war bald klar, dass das vielseitige Streuobstwiesengelände sowie der große Gemüse- und Kräutergarten mit Klassikern wie Kartoffeln und Kohl, Paprika und Möhren, aber auch mit Buschbohnen in schöner, schwarz-weißer Ying-und Yang-Färbung und in all der biologischen Vielfalt ein unerschöpfliches Reservoir für Wahrnehmung, gemeinsames Erleben, Erfahrungen sammeln, Kontaktmöglichkeiten, Sinnesentfaltungen, Wissensbildung sowie Entwicklung von Zu- und Vertrauen bot. „Und das wollten wir gern mit anderen Menschen teilen“, sagt Renate Bethlehem, die sich zur Familientherapeutin weitergebildet hat.

Schon lange lagen den beiden die Kinder aus Familien mit einer Sucht- und/oder psychischen Erkrankung, die sie in Bethel betreuten, am Herzen. „Man muss in Gedanken auch mal etwas wagen“, waren sie sich einig und entwickelten 2007 – angedockt und konzeptionell mit dem Kinderschutzbund Kreisverband Gütersloh erarbeitet -, das „Faba“-Naturprojekt (Familien in Balance). Ziel war und ist es, die betroffenen Kinder durch begleitetes Naturerleben, durch Gartentätigkeiten, den Umgang mit Tieren und Naturmaterialien zu stärken, sie wieder ins seelische Gleichgewicht zu bringen, ihnen Werte und Verlässlichkeit zu vermitteln.  Das gelingt seit mittlerweile 17 Jahren, hat schon früh auch die Aufmerksamkeit und Anerkennung von Seiten der Landesregierung bekommen. „Dass es trotzdem bislang nur am Schulbauernhof in Ummeln eine Dependance gibt, es aber nicht zu einer landesweiten Umsetzung gekommen ist, liegt daran, dass sich kein Kümmerer findet, der das Projekt flächendeckend betreut und vorantreibt“, bedauern die Bethlehems.

Lähmen lassen haben sie sich davon nicht und viele andere Ideen umgesetzt: So wurde auf ihrem Gelände ein Bauwagen zum Quartier der Gütersloher Naturschule umgerüstet, damit Kinder nicht nur im Rahmen der Ferienspiele, sondern ganzjährig zu besonderen Aktionstagen kommen können. Da wird dann unter anderem geerntet, geschnitzelt und gepresst bis der selbstgemachte Apfelsaft mit einem verzückten „Ahh, wie lecker“ gekostet werden kann. Die verschiedenen alten Sorten – von der Goldpamäne über Karls Dickstiel bis hin zum Horneburger Pfannkuchen – waren es auch, die schon 2004 mitgeholfen haben, die Gütersloher Umweltstiftung aus der Taufe zu heben. „Wir haben in Isselhorst den ersten Westfälischen Apfeltag veranstaltet“, erinnert sich das Paar, „und waren von dem Andrang und Interesse überwältigt.“ 25.000 Euro (inklusive Zustiftung) kamen an Erlös zusammen – das Startkapital für die Umweltstiftung. „Das hat uns schon ein bisschen stolz gemacht.“

Als Projektleiter des Ökowerks vom Dorf- und Heimatverein ist Rainer Bethlehem immer aktiv: Ob es um die Streuobstwiesen am Pastorengarten oder auf Mumperows Hof geht, um Minigärten in Holzkisten für Flüchtlinge, um Igel-Überwinterungshilfen oder Steinkauz-Nistkästen – er und seine Frau machen vieles möglich. Und auch beim Großprojekt „Europas Künstlerweg“ der Isselhorster Künstlerin Nirgül, waren sie – diesmal als Mitglieder des Imkervereins - aktiv dabei und haben Wildbienen-Nisthilfen in Form einer großen Europaflagge zusammen mit Bewohnern der Isselhorster Seniorenheime und Kita-Kindern geschaffen. Eine Idee, die - über Güterslohs Grenzen hinaus - nun auch vom belgischen Imkerverein übernommen wurde.

„Es ist immer schön zu erleben, wenn eine gemeinschaftlich umgesetzte Idee reiche Ernte bringt“, sagen die Bethlehems, die sich „als Hüter des Landes“ verstehen und diese Verantwortung für ihr „Stück von diesem Planeten“ sehr ernst nehmen. Nicht von ungefähr lautet ihr Lebensmotto: „Es ist wichtig, ein guter Vorfahr zu sein.“